Heute fast als Geheimtipp gehandelt, habe ich sie als Kind noch erlebt: die unzähligen gemütlichen
schwäbischen 'Wirtschäftla', sprich die Lokale mit der gutbürgerlichen Küche.
Sogar in Stuttgart fand man allenthalben die mehr oder weniger 'räse' Gastlichkeit eines 'Lamm', 'Ochsen',
'Bären' oder 'Adler'. Am Stammtisch immer ein paar Handwerker, die zwischen zwei Baustellen ein schnelles Bier
tranken oder Rentner, die voll Inbrunst Gaigel oder Binokel spielten.
In der Luft lag stets ein Gemisch aus nassen Bierdeckeln, Zigarettenqualm, billigem Trollinger und
Bratensauce. Dazu auf jedem Tisch ein meist abgestoßener Glas-Aschenbecher der jeweiligen Vertragsbrauerei (Wulle,
Sixenbräu, Kübele, Dinkelacker uvm.).
Außerdem hing die obligatorische 'Eiskarte' von Langnese neben der Kasse an der Wand, ein 'Stieleis' gab es
immerhin schon für zwanzig, ein Zitronen-Wassereis für dreißig Pfennige.
Das in brüchigem Kunstleder gebundene 'Speisekärtle' begann stets mit 'Bratwürsten, Senf und Brot' und
endete fast immer mit 'Schwäbischem Rostbraten' als Spitzengericht des Hauses.
Legendär in meiner Erinnerung der 'Gemischte Braten', mit dem die Wirtsleute Hochzeits- und Trauergesellschaften
beglückten. Dazu gab es 'handgschabte' Spätzle, ebenso üppige wie verkochte Gemüseplatten und vor allem einen
Kartoffelsalat, von der Wirtin höchst persönlich gezaubert, der allen Gästen innige Seufzer der Wollust
entlockte.
Die Bedienung war fix und Bestellungen wie 'rot-sauer' oder 'weiß-süß' kein großes Rätsel. Stammgäste wurden
liebevoll begrüßt und bekamen schon mal ein Tischtuch auf den üblichen Holz- oder Resopaltisch gelegt. Wichtiger
als die Qualität der Speisen war in der Regel die Quantität, 'a Schnitzel so groß wie an Abbortdeggl' war die
allerbeste Werbung.
Für mich als Kind war es immer ein Festtag, wenn man mit den Eltern mal in eine Wirtschaft ging, dort ein
'Bluna' oder 'Sinalco' trinken (Coca-Cola war als 'Hexenzeugs' tabu) und 'Spätzle mit Soß' essen durfte.
Danach knetete man solange am Vater herum, bis man 20 Pfennig für den Spielautomaten bekam und dann mit fieberheißen
Augen und Fingern dem aus heutiger Sicht eher langweiligen Geschehen (der drei Drehscheiben) folgte. Welch'
köstlicher Augenblick, wenn man dann auch noch 30 oder 50 Pfennig Gewinn erzielte.
Fast immer gab es eine Vitrine an der Wand, in der die Pokale des lokalen Fußball-, Altherrenkegel- oder
Gesangsvereins zu bestaunen gab, der im 'Nebazimmer' seine monatlichen Siegsfeiern abzuhalten pflegte.
'Auf em Klo' war manch' abenteuerliches Provisorium zu bestaunen, keine Hochglanz-Toiletten mit Musik wie
heutzutage, sondern wandgroße Pissrinnen mit riesigen Abflusslöchern im Boden, gesprungene Toilettendeckel und
chlorwabernde Urinalsteine...
Doch leider gaben viele dieser schwäbischen Wirtsleute im Laufe der Jahre auf und bald prangten über dem
Eingang neue Wirtshausschilder wie Balkan-Grill, Pizzeria Vesuvio oder China-Town.
Mutige Mitbürger, die sich von Hunger oder Neugier getrieben, in die neuen Lokale wagten, berichteten ihre
Erlebnisse, so zum Beispiel dass die 'Floischkiachla' einen unaussprechlichen Namen hätten und ganz merkwürdig
gerollt seien, wie halb gerauchte Zehnerstumpen, aber wenigstens seien die Portionen anständig. Und wenn man die
gerösteten Zwiebelscheiben und gegrillten Paprikastreifen nicht aus Versehen mitesse, sei auch der Balkan-Spieß
halbwegs genießbar.
Ein richtiger Schwabe begeisterte sich natürlich an der gastfreundlichen Sitte, vom Wirt nach dem Essen einen
Slibowitz oder Ouzo gratis serviert zu bekommen, 'So ebbes hat's früher bei der Lina abbr nedd gäba!'. Und so
ging man mutig daran, sich durch Spaghetti-Gerichte zu hangeln, über die Ingredienzien von Chop-Suey
nachzugrübeln oder durch übermäßigen Genuss von Knoblauchsaucen Familiendramen zu provozieren.
Aber Jahr um Jahr und Lokalwechsel um Lokalwechsel lernten selbst die hartgesottensten Nudelsuppenschlürfer und
Maultaschenpatrioten die Reize fremder Küchen kennen und schätzen und erbleichten nicht mal mehr, wenn ihnen ein
Giovanni oder Giuseppe Appetit auf 'Cozze' zu machen versuchte, er wollte ja nichts anderes, als seine
Miesmuscheln auftragen.
Mehr und mehr 'Wirtschäftla' wurden von ausländischen Besitzern übernommen, die mit ihrem Stück gelebte Heimat
ein wenig Weltoffenheit in zu den verhockten Wirtschaftsgängern brachte, die wiederum viel Gefallen an den
Gerichten aus aller Welt fanden.
Auch wenn heute viele 'Wirtschäftla' bereits von den hier geborenen Kindern ehemaliger Ausländer geführt werden,
ist es doch immer wieder ein Grund zum Schmunzeln, wenn einem unversehens 'Sipezele', 'Lintzen' oder 'Goggele'
offeriert werden.
Und überhaupt, wenn es die vielen Lokale in ausländischer Hand nicht gäbe, wo wollte man denn dann abends in
Ruhe sein Viertele schlotzen und 'drzu a ganze Gloinigkeit essa'?
Trotzdem hat man ja ab und zu 'Glüschda' nach einem typisch schwäbischen Essen, wie gut, dass es noch den ...
gibt, aber halt amol, verraten wird nix, Geheimtipp ! - siehe oben.