Solange ich denken kann, ist die Laugenbrezel ein fundamentaler Bestandteil jedes Vespers, vieler
Frühstückspausen und (zusammen mit einem Gläschen Sekt) der Hauptgang kleinerer Firmenfeiern.
Ich persönlich schätze eine Brezel mehr, wenn sie weich ist, auch die 'Füßle' (also der dünnere Teil), stehe mit
dieser Vorliebe aber ziemlich alleine da. Die Mehrheit der Schwaben bevorzugt die Brezel knusprig und stark mit
Salz bestreut, was ich nun wiederum mühsam abkratzen muss.
Leider ist es heutzutage schwierig, eine gute Brezel zu erwerben, denn die vielen Großbäckereien drücken mit
vorgebackenen und aufgebackenen Schweinereien den Durchschnitt.
Historiker und Heimatkundler haben sich ausführlich mit der Brezel beschäftigt. In ihren Ergebnissen sind
sie sich nicht immer einig; fest steht jedoch, dass es sich ursprünglich um Ringbrote gehandelt hat, die erst im
Laufe der Jahrhunderte die Gestalt unserer heutigen Brezel annahmen.
Die Geburtsstunde der Laugenbrezel lässt sich nicht genau bestimmen. Von Abbildungen aus dem 11. Jahrhundert
wissen wir aber, dass es sie damals bereits in der uns heute bekannten Form gab.
Um die Erfindung der Brezel ranken sich zahlreiche Sagen, die zwar nicht historisch belegt, aber deshalb
nicht weniger reizvoll sind. Einige davon sollen hier angeführt werden:
Schwäbische Varianten:
Vor Hunderten von Jahren hatte der Graf Eberhard von Urach einen sehr berühmten Hofbäcker. Eines Tages wurde
entdeckt, dass der Bäcker von den Waren seines Grafen gestohlen hatte. Das war in jenen Tagen ein sehr schlimmes
Verbrechen und der Hofbäcker musste zum Tode verurteilt werden.
Der Graf jedoch wollte seinen berühmten Bäcker nicht verlieren, deshalb entschied er, ihm eine Chance zu
geben, sein Leben zu retten. Der Bäcker musste in nur drei Tagen ein neues Gebäck erfinden, durch welches die
Sonne dreimal scheinen konnte.
Der Bäcker war schon ganz verzweifelt, da er keine Idee hatte. Plötzlich, als er seine Frau beobachtete, die mit
verschränkten Armen im Türrahmen lehnte und mit der Nachbarin plauderte, kam ihm ein Gedanke: er wollte die Form
der verschlungenen Arme in sein Gebäck einarbeiten. Somit war die Aufgabe erfüllt, die Sonne konnte durch dieses
Gebäck dreimal scheinen.
Eine weitere Version besagt, dass Mönche als Vorlage für die Brezel dienten. Nach einem Entwurf des
Klosters Reichenau grenzten im Kloster St. Gallen die Brauerei und die Bäckerei aneinander. Allabendlich standen
die Gottesdiener beim Bierholen Schlange; dabei hielten sie die Arme vor der Brust verschlungen, wie es sich
damals für sie ziemte. Das inspirierte den benachbarten Bäcker, der in Anlehnung an diese Haltung ein in Lauge
getauchtes und mit Salz bestreutes Gebäck kreierte. Dieses stellte nicht nur die gekreuzten Arme dar, es
schmeckte auch zum Bier besonders lecker. Er nannte es 'Brezel', abgeleitet von 'bracchium', dem lateinischen
Wort für Arm.
Eine weitere Version meint, die Lauge auf der Brezel ist durch Zufall entstanden: Des Bäckers
Katze, welche neben dem warmen Ofen lag, sprang plötzlich auf und fegte die Brezeln in eine Wanne mit heißer
Lauge, die eigentlich zum Würzen von Suppe und Fisch vorbereitet war. Es war keine Zeit mehr ein neues Gebäck zu
machen - dieses mit der Lauge musste gebacken werden. Über das Ergebnis staunte zunächst der Bäcker und dann der
Graf nicht schlecht.
Da das Kind noch keinen Namen hatte, wurde die Frau des Grafen, eine Dame aus Italien - nach Ihrer Meinung
befragt. Sie erinnerte sich an das lateinische Wort für 'Ärmchen': 'bracchia' und an die Bezeichnung für
verschlungene Hände: 'brazula'. Der Einfachheit halber wurde daraus Brazel und später eben
Brezel.
Hinweis: Diese Geschichte ist nachzulesen in 'Der Frieder, der Graf und die Laugenbrezel' von Elke
Knittel, erschienen im Matthaes Verlag.
Die bayerische Variante:
Wilhelm Eugen von Ursingen, der königlich-württembergische Gesandte, soll der erste Mensch gewesen sein, der zum
Frühstück am 11. Februar 1839 im königlichen Kaffeehaus des Hoflieferanten Johann Eilles in der Münchner
Residenzstraße eine Laugenbrezel zu essen bekam. Versehentlich soll der Bäcker Anton Nepomuk Pfannenbrenner die
Brezeln statt mit Zuckerwasser mit Natronlauge glasiert haben, die er sonst zum reinigen der Backbleche
verwendete. Das knusprigbraune Gebäck duftete verlockend und mundete dem Gast ausgezeichnet; und die
diplomatischen Beziehungen zwischen Bayern und Württemberg wurden gefestigt.
Um in unseren Tagen eine bayerische Brezn von einer schwäbischen Laugenbrezel zu unterscheiden,
gehen Sie so vor: Legen Sie die Brezel auf eine karierte Tischdecke vor sich hin, am besten mit einem frischen
Radi (bayerisch für Rettich) oder einem Paar Weißwürste und einer Maß Bier. Atmen Sie in langen Zügen ihren warmen
unverkennbaren Duft! Genießen Sie den schönen Anblick des bräunlich-schattierten Glanzes ihrer Kruste.
Wenn die Kruste regelmäßig glatt ist, haben Sie es mit einer bayerischen Brezen zu tun.
Wenn aber die Kruste in ihrem Bauchteil eine markante Wölbung hat, aus der hell und verlockend der leichte,
duftige Teig leuchtet, dann liegt vor Ihnen ein schwäbisches Modell. Sei's drum, lassen Sie es sich jetzt
schmecken!
Tatsächlich aber erkennt man auf den ersten Blick den Unterschied zwischen dem bayerischen und dem schwäbischen
Exemplar: Die Kruste der bayerischen Brezn ist gleichmäßig glatt und gebräunt, die Brezn wird aus einem
gleichmäßig dicken Teigstrang gemacht. Bei der schwäbischen Laugenbrezel sind die Enden des Teigstrangs dünner
und die Mitte dick. Dadurch entstehen die knusprigen 'Ärmchen'. Die dicke Mitte wird eingeschnitten, so dass der
'Ausbund' weiß aufgeht.
In Wappen und Siegeln von Zünften und Innungen taucht die Brezenform häufig auf. Längst ist sie zum Symbol
des Bäckerhandwerks geworden. Sie ziert die Läden, aber auch die Grabsteine der Bäcker in den Städten des
Mittelalters. Dort, wo der Ausleger mit einer Brezel winkt, ist ein Bäckerladen.
Das älteste nachweisbare Bäckerwappen gibt es aus dem Jahr 1111 nach Christus, darin taucht bereits die Brezel
als Berufszeichen der Bäcker auf. Warum sich die Bäcker gerade für die Brezel entschieden, erklärt die
Geschichte dieses Gebäckes. Die Brezel zählte zu den Gebildebroten antik-christlichen Ursprungs. Diese Herkunft
sowie die enge Verbindung zum christlichen Glauben erklärt, weshalb der Brezel als 'heiligem Gebäck' besondere
Segens- und Heilkraft zugeschrieben wurde. Was also wäre besser als Bäckerwappen geeignet gewesen.
Für die Herstellung von Brezel und Beugel wurde ein sehr harter Teig benötigt, der auf einer eigenen Breche
gebrochen und zu Strängen gewalkt und in die besondere Form gebracht wurde. Brezel und Beugel wurden für wenige
Minuten in siedend heißes Wasser getaucht und anschließend mittels einer Brezel- oder Beugelente auf ein mit
Salz bestreutes langes Holzbrett gebracht, wenn sie gleich gegessen werden sollten. Vorratsbrezeln blieben
unbestreut.
Fasten und Beichten von Aschermittwoch an war Vorbereitung auf Ostern. Denen, die nicht mit zur Beichte gingen,
brachte man je eine Brezel oder Beugel mit nach Hause, die mit einer Schnur zusammengebunden wurden. Oft musste
eine Brezel geteilt werden. Beim Spielen um Termingebäcke im Wirtshaus an Allerheiligen/Allerseelen galten sie
auch als Preise. Die Brezelzeit war noch im 18. Jahrhundert befristet auf die 40 Tage vor Ostern.
Es war Brauch, dass Kinder am Aschermittwoch Erwachsene die Asche abkehrten und diese sich dann mit Brezeln
auslösten. Zunftbräuche markierten den Abschluss der Brezelzeit. So endete z.B. das Brezelbacken am
Gründonnerstag und die Brezelbuben (Lehrlinge) wurden auf einer Reitstange durch den Markt zur Rossschwemme
getragen und ins Wasser geworfen. Um anzuzeigen, dass die Fastenperiode zu Ende und die österliche Zeit
angebrochen war, wurde anderenorts z.B. am Ostermontag das neue typische Zeitgebäck der Osterfleck präsentiert.
Brezeln waren und sind Schmuck für Sommertagsstecken in Umzügen und österlichen Palmbuschen. Palmbrezeln sind
größer als Fastenbrezeln, es sind süße Eierbrezeln.
Im Gegensatz zu den vielen anderen Gebildbroten, die lange - nur oder auch - zu Hause herstellt wurden, war die
Brezel immer ein Bäckererzeugnis. Bis in unser Jahrhundert war der Brezelbäck mit seiner langen Stange voller
Brezeln bzw. seinem Brezelkorb ein typischer Straßenverkäufer.